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Joachim K. Bautze

In Memoriam: Drei Ästheten

Es gibt drei Menschen, die mir bei der ersten Begegnung zunächst gewöhnungsbedürftig vorkamen, denen ich aber im Laufe der Zeit die größte Bewunderung entgegen bringen konnte und die mir heute sehr fehlen. Alle drei Personen verstanden die Kunst der indischen Malerei auf eine einzigartige Art und Weise auf einem Niveau, das von den anderen mir bekannten Individuen, die unmittelbar mit indischer Kunst zu tun haben, bisher kaum erreicht worden ist.



Bei meinem ersten Treffen war Ram Gopal Vijayavargiya () in Jaipur, Rajasthan, etwas über 70 Jahre alt. Er kam im Highway Hotel von seinem Atelier herunter, legte einen Stapel alter Zeichnungen und Skizzen vor mir auf den niedrigen Tisch, machte sich danach auf einer Art Korbstuhl bequem und schien einen völlig unbeteiligten Eindruck zu machen. Als ich mir den Stapel Altpapier genauer ansah stellte ich fest, dass mir einige Skizzen nicht zusagten, einige andere dafür ausgezeichnet zu sein schienen. Also machte ich zwei Stapel: einen mit den Skizzen, die mir gefielen, und einen mit den Darstellungen, die mir weniger behagten. Da merkte ich, wie Ram Gopal unauffällig zu lächeln begann, die beiden Stapel kurz inspizierte und mich dann bat, ihn in sein Atelier im oberen Stockwerk zu folgen, wo ich barfüßig Räume betrat, in denen tausende alter Zeichnungen auf dem Boden verstreut lagen. Später sollte mir Cary Welch dieselbe Geschichte erzählen, wie sie ihm über 30 Jahre früher widerfahren war: das mit dem Stapel Zeichnungen war eine Art Test, den Cary und ich offenbar bestanden hatten. In der Tat waren noch Jahrzehnte später unter den vielen authentischen Zeichnungen etliche Fälschungen, die Ram Gopal gewissermaßen ohne ein Hinsehen von den authentischen Skizzen unterscheiden konnte..
In der Regel saß Ram Gopal Vijayavargiya mit angezogenen Beinen auf einem Charpai in einem der oberen Räume seines Hauses in der Altstadt Jaipurs, umgeben von hunderten alter Skizzen und Zeichnungen und - malte. Auch als er über 90 Jahre alt war, malte er genauso, schweigsam und ab und zu einen Tee trinkend, den mein Sohn übrigens verabscheute, weil sich stets eine verdickende Haut auf der Oberfläche bildete, die beim Versuch durch Pusten das Getränk auf eine trinkbare Temperatur zu bringen, auch noch Runzeln warf. Ram Gopal war über die Jahre noch ruhiger geworden, aber ein Funkeln huschte über sein Gesicht, seine Augen begannen zu leuchten, wenn man ihm Fotos traditioneller indischer Malereien zeigte. Er erkannte nicht nur jede Malschule sondern auch jede Hand und war persönlich mit jedem Künstler seiner Zeit vertraut. Es gab kaum eine bekanntere indische Malerei in bedeutenden westlichen Sammlungen, die nicht durch seine Hand gegangen war. Sein Lachen war dabei unwiderstehlich, seine Kommentare zu einzelnen Malereien und Zeichnungen so treffend, dass es als Verlust bezeichnet werden muss, seine Bemerkungen nicht aufgezeichnet zu haben. Bei einem meiner letzten Besuche zeigte ich ihm über eine Videokassette den Film Der Traum vom Taj Mahal, ein von diversen Fernsehanstalten international ausgestrahlter Beitrag des ZDF über Rajasthan und das Moghulreich, bei dessen Entstehung mir die wissenschaftliche Beratung oblag. Nie vergessen werde ich seine Kommentare zu der Sequenz, in der Maler bei der Arbeit im kaiserlichen Atelier gezeigt werden. Da das Filmteam keine Aussicht hatte, originale Moghulalben zu filmen, wurden die Abschnitte mit den erforderlichen Malereien in Berlin von faksimilierten Reproduktionen abgelichtet und an die entsprechenden Stellen der Dokumentation eingeführt. Von jeder der dabei gezeigten Malereien konnte Ram Gopal Vijayavargiya die Datierung, Künstler und Aufenthaltsort nennen!
Einst erwarb Ram Gopal, der viele Künstler der von Abanindranath Tagore ins Leben gerufenen „Bengalischen Schule“ persönlich kannte, ganze Kisten mit Entwurfs- und Vorzeichnungen, aber auch ausgeführten Malereien aus Kota, Bundi, Jaipur, Bikaner und anderen Orten. Seit den fünfziger Jahren verkaufte er einige dieser Kunstwerke. Zwei seiner Kunden waren Gopi Krishna Kanoria und Stuart Cary Welch.



Gopi Krishna Kanoria () in Patna, Bihar, war stets höflich, zurückhaltend und von einer Gastfreundschaft, die verlegen machen konnte und die ich bei seinem Besuch in Berlin 1986 kaum zu erwidern in der Lage war. Gopi Krishna Kanoria besaß nicht nur, wie Ram Gopal Vijayavargiya, zahlreiche Meisterwerke der indischen Malerei und konnte sie beschreiben, spätestens seit dem Beginn der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts publizierte er sie auch. Sein offenbar bereits 1949 in („Kunstschatz, Heft 5“) erschienener Beitrag („Die Unterschulen [der Malschulen] Rajasthans aus der Vogelschau“ oder „Übersicht über die Malschulen Rajasthans“) ist einer der ersten Aufsätze seiner Art, in dem „Bundi“ als eigenständige Malschule erwähnt wird.
Unbeschreiblich und nicht vorstellbar für denjenigen, der es nicht erlebt hat, waren die Sitzungen in denen Gopi Krishna Kanoria einige der von ihm gesammelten alten indischen Malereien erklärte. Er beschrieb sie nicht, denn eigentlich besang er sie. Er konnte den über dem Bild geschriebenen Vers mühelos lesen, beziehungsweise singen, interpretieren und auf das darunter befindliche Bild anwenden, dass es einem, der mit Mühe die Nayika („Heldin“) in der Malerei identifizieren konnte, schlichtweg die Sprache verschlug und vor Rührung die Tränen in die Augen trieb.
Die Art, wie er etwas ankündigte, ließ bei der erstaunlichen Qualität der Stücke seiner Sammlung in Erwartung auf das, was von ihm gezeigt werden soll, die Herzen noch höher schlagen, ohne dass ich dabei jemals enttäuscht worden wäre. Einmal sagte er: „I fell in love with a girl,“ machte eine Pause, um die Spannung zu erhöhen, und fuhr dann fort: „and she is more than two thousand years old!“ worauf er mir er mir das Fragment einer unwiderstehlichen Terrakotte in die Hand legte. Dieses in der Tat attraktive „girl“ ist in Early Indian Terracottas auf Tafel XXXIIIb abgebildet.



Ebenso in der Gastfreundschaft unübertroffen war Stuart Cary Welch, der mich auf seinen Reisen mitunter mit so vielen Louis Vuitton-Koffern besuchte, dass diese in der Wohnung gar nicht unterzubringen waren und im Treppenhaus aufgestapelt werden mussten. Er war mit Abstand der unterhaltsamste Mensch, der mir je begegnet ist. Cary hatte wie kaum ein zweiter ein Auge für Qualität. Ob Thangka, Khaka, Tasvir oder Chitra, alle seine asiatischen Malereien und Zeichnungen besaßen etwas Außergewöhnliches, etwas, was in keiner anderen Sammlung in der Form vorhanden war. Selbst mit fast 70 Jahren konnte er immer noch mit untergeschlagenen Beinen mühelos stundenlang auf dem mit Teppichen ausgelegten Boden sitzen und Malereien betrachten, sei es, um für eine Ausstellung an Hand von Diapositiven Bilder auszuwählen, oder sei es, um sich Beschriftungen vorlesen und übersetzen zu lassen, in seinem Haus in Contoocook, New Hampshire, wo er noch aktiver zu sein schien als etwa in Kota oder Jodhpur. Eines hatte er mit Ram Gopal Vijayavargiya und Gopi Krishna Kanoria gemeinsam: Er verfügte nicht nur über eine unerreichte Sammlung indischer Kunst, er ließ sich von der Kunst begeistern und konnte diese Begeisterung an Menschen, die sehen können, weitergeben. Nichts schien ihn mehr zu langweilen, als mittelmäßige Kunst und noch unverständlicher für ihn war, wie darüber dann auch noch Aufsätze geschrieben werden konnten, nicht zu reden von Monographien oder Ausstellungskatalogen. Ebenso wie die anderen beiden Herren konnte Cary von einer beschämenden Großzügigkeit sein und, das unterschied ihn von den anderen, aus der kleinsten Bagatelle konnte er einen mit Spannung erzählten Abenteuerroman machen, mit sich selbst als Hauptperson. Wer zum Beispiel mit Cary Porträts besprach gewann den Eindruck, Cary wäre dem vor 300 Jahren verstorbenen Abgebildeten nicht nur persönlich begegnet, er war von ihm mindestens auch zum Dinner eingeladen. Das Mindeste, woran sich Cary dann mitunter noch erinnern konnte, war die Speisenfolge und die dazu gespielte Musik!
Wer den von mir ebenso bewunderten Mark Zebrowski noch kennen lernen konnte und meint, dass er „Stil“ hatte, macht sich eine ungefähre Vorstellung von Cary, für den das Reisen „in style“ zur Lebensaufgabe geworden zu sein schien.
Jeder für sich war ein Connoisseur, ein von Kunsthistorikern beneideter, verwöhnter Kenner, dem die Ikonographie oder die alte Beschriftung einer Malerei oder Zeichnung fast nichts zu bedeuten schien; dafür war für jeden dieser Drei die Ästhetik und Intensität: -- Alles!